Isländer-Sagas

Jenes gutgemeinte Beginnen der Ehrenrettung unserer heidnischen Vorfahren entspringt der richtigen Erkenntnis, daß doch schließlich auch die Germanen, denen Mogk „tiefe Religiosität“ als „einen wesentlichen Zug ihres Charakters“ zuspricht eine religiöse Eigenentwicklung vor ihrer gewaltsamen Einfriedung in das völkerumspannende Christentum gehabt haben müssen, eine Eigenentwicklung, die der ethischen und kulturellen Höhe ihres Heidenlebens entspricht. Und Kultur hatten diese Heiden. „Wer glaubt, den Germanen sei Kultur erst durch das Christentum zugeführt worden, ist einseitig unterrichtet. Aber solche Versuche religiöser Ehrenrettung der seit alters her verlästerten „Barbaren“ verfallen jenem Fluche der Lächerlichkeit, solange nicht zuerst das Wesen, das Menschentum der heidnischen Germanen erfaßt und dieses als kritischer Maßstab an die schriftlichen Überlieferungen, die wir über die schriftlose Kultur der Vorzeit besitzen, gelegt wird.

Das Alter der Edda-Lieder

Eugen Mogk sagt: „An das hohe Alter, in das man einst die Eddalieder versetzt hat, glaubt heute niemand mehr“. „Sprache metrische Form, Lebensanschauung der Dichter“ habe „unzweideutig erwiesen, daß selbst die ältesten Gedichte nicht vor der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts entstanden sind, während die jüngsten erst kurz vor der Zeit gedichtet sein müssen, wo unsere Überlieferung einsetzt. Der Gedichte der letzten Art sind jedoch verschwindend wenig“.

Geschichts- und Selbst-Erkenntnis Europas

Man findet das Wesentliche nur, wenn man das Ganze sieht. Aber es gibt „Eddaforscher“, die keine Zeile Saga lesen können, und Eiferer für irgend eine Meinung, die mit ein paar „Belegen“ aus dem engen Kreise dessen, was sie kennen lernten, das ganze alte Island und womöglich noch das ganze alte Germanentum ins Feld zu führen glauben. Anders steht es um die Frage, ob es nicht uns alle angeht, dafür zu kämpfen, daß eine wesentliche Quelle unserer Geschichts- und Wesens-Erkenntnis nicht immer wieder versiegt oder verschüttet wird.