Island im Nibelungen-Lied

Teil 3

Island im Nibelungenlied und die Entwertung der Frau

Das deutsche Nibelungenlied weist uns selbst den Weg nach Norden.

Es nennt die Brünhild eine „Königin von Isenstein“, und stellt die Degen aus Island an ihre Seite. Es erzählt, wie nur Sigfrid die „rechten Wasserstraßen“ dorthin kennt; nur er weiß, wie es um diese nordische Königin steht und muß die neugewonnenen Schwurbrüder und Schwäger dorthin führen. Staunend sehen diese dann die Burgen und die blühende Herrlichkeit in Brünhilds Land, und schließlich „Isenstein, diu Veste“, wo das stolze Weib ihre Werber mit Kraftproben zu prüfen pflegt, und wo nun die Burgunden durch Sigfrids Kraft diese Herrin überlisten, gewinnen und ihrer Macht unterwerfen.

„Ez was ein küniginne gesezzen über sê“, so hebt mit neuem Ton dieser Abschnitt unseres Epos an. Wer um sie wirbt, wagt seinen Kopf. Gunther will es wagen. Sigfrid rät ab. Hagen meint, Sigfrid soll helfen. Er allein, der zu ihrer Art gehört, ist dieser Frau gewachsen. Er kennt sie, aber das Epos hat uns nichts von einer früheren Begegnung erzählt, begreiflicherweise. Gegen Kriemhild als Lohn verspricht Sigfrid die Hilfe.

Sie fahren los, in neuen Gewändern aus arabischer Seide. Gunther rudert selbst. Er hat es eilig. Weinend bleiben die höfischen Frauen zurück. Sigfrid, der Führer auf dem Wege nach Island, ist Dienstmann Gunthers. Brünhild sagt: ..Ich fürchte in niht sô sêre, daz ich werde sin wíp“. – Man gibt der Sitte gemäß die Waffen ab. Zum Zweikampf tragen vier Mann an Brünhilds Schild. Die Gäste werden ängstlich. Hagen sagt: „der ir dâ gert ze minnen, diu ist des tiuwels wip.“ Dankwart bereut die Fahrt und fürchtet, daß ihnen allen, den Recken aus dem Süden, nun „in diesem Lande die Frauen Verderben bringen“. Brünhild hört die Helden sorgenvoll von den abgelieferten Waffen reden und läßt ihnen sofort die Waffen wieder bringen! „O weh, sprach Hagen, was hat der König nun zur Geliebten sich ersehen! Möchte sie doch in der Hölle des üblen Teufels Braut sein!“

Mit Humor wird der groteske Kampf geschildert, bei dem Sigfrid den König Gunther, von der Tarnkappe gedeckt, im Weitsprung trägt usw. Nach der Niederlage hält Brünhild ohne weiteres ihr

Wort und ergibt sich dem Gunther; sie fragt ihn, wie sie seine Helden begrüßen soll. Aber es heißt: „Sifriden mit dem gruoze si von den anderen schiet“. Man lacht über sie, die Besiegte und Betrogene. Sie übergibt ihrem Oheim die Verwaltung ihres Landes und nimmt sich Frauen und Mädchen mit in die Fremde. „In tugentlichen Züchten diu frouwe rfimte ir land.“ – „Doch wolt si den hôrren niht minnen üf der vart.“

Sigfrid wird nach Worms vorausgesandt, den „Sieg“ zu verkünden und die Ankunft anzukündigen. Gunthers Schwester Kriemhild, ist sein Lohn. Im höfischen Frauendienst naht er ihr, dann, als ihr Eheherr, gibt er ihr Prügel, weil sie das Geheimnis ausplaudert.

Wie fern wäre das alles dem Verständnis der Sagabauern gewesen!


Wie anders sahen sie ihre Frauen als jene Helden zu Worms, von denen es immer heißt: „mit ougen wart getrfitet vil maneger schoenen frouwen líp“! (Man denke sich die Gudrun der Edda geohrfeigt! (Vgl. Am. 98f.)

Aber klar ist noch immer der Unterschied erfaßt zwischen Kriemhilds und Brünhilds Art, wenn es von ersterer heißt: „da brachte man Kriemhilde, man hieß si stille stehn“, oder wenn sie verspricht, gefügig den zu nehmen, den „ir mir, hêrre, gebet ze man.“ „In meitlichen zuhten si schâmte sich ein teil.“

Brünhild weint, da sie nun die königliche Schwägerin an der Seite des „Eigenholden“, des Dienstmannen ihres Herrn und Königs, sieht. Natürlich hat ihr Schmerz mindestens unbewußt seit je in dieser Dichtung einen anderen Grund.

Sie droht, das Beilager verweigern zu wollen. Von Gunther heißt es, daß er gewöhnt war, sanfter bei anderen Frauen zu liegen. („der hât (-, dike samfter bi anderen wiben gelegen“.) Brünhild tritt im Hemd ans Bett und er denkt: „Nun hab ich alles da.“ (!) Brünhild weigert sich aber, will „Magd“, Jungfrau bleiben, bis  sie hinter das Geheimnis bezüglich Sigfrids komme. Gunther überfällt sie roh „und zerfuorte ir diu kleit“. Aber sie ist stärker, und „da begann zu flehen, der der Herr sein sollte.“ Er verspricht, sie in Frieden zu lassen, mietet sich dann aber Sigfrid, und der gelobt: „ih twing iu daz wip.“ Als Sigfrid dann – wieder als Gunther getarnt – den Kampf um die eheherrliche Macht Gunthers ausficht, steht es erst sehr kritisch für ihn. „Owê, gedâht der recke, sol ih minen lip von einer meit verliesen (verlieren), so mugen elliu (sonst) wip dar nšich immer mêre tragen gelphen (übermütigen) muot gegen ir manne. diu sus (sonst) ez. nimmer getuot.“

Brünhild wird von Sigfrids Kraft dem Gunther ausgeliefert und ihrer Kraft beraubt; sie kapituliert: „ih hân wol erfunden, daz du kanst vrouwen meister sin.“ Ihren Sohn mit Gunther nennt sie dann nach Sigfrid. Zehn Jahre leben nun die beiden Paare nebeneinander. Die bezwungene Brünhild sagt „lieber Herr“ zum Mann, und glaubt, daß „des Königs Wille an ihrem Leibe geschah“, bis Kriemhild im berühmten Frauenzank verrät: „Fürwahr, es war nicht mein Bruder, der dein Magdtum gewann.“ Sigfrid schwört dem Gunther, daß er verschwiegen war. Die Männer einigen sich schnell in der unendlich „ungermanisch“ gewordenen Moral des Abendlandes mit den Worten:

„Man sol so vrouwen ziehen, sprach Sifrit der degen, daz si üboec sprüche lâzen unterwegen.“

Nun tritt Hagen als Rächer auf. Brünhildes Weinen soll Sigfrid leid werden. Kriemhild bittet ihn, ihren Mann zu schonen. Sie bereut ihr Schwatzen, bekennt, wie sie dafür schon Prügel bekam von „dem Helden kühn und gut“. Die Tragik ist ergreifend, die darin liegt, daß die um ihren Sigfrid bangende Frau dem Mörder selbst, ihn um besonderen Schutz bittend, durch ein Kreuzeszeichen (ein tougenlichez criuze, N. L. 847) auf dem Jagdkleid die einzige verwundbare Stelle ihres Helden angibt.

Wie in der Edda denkt auch hier der sterbende Sigfrid an sein Weib und empfiehlt es der Sorge ihrer Brüder. Kriemhilds Schmerz ist tief und echt. In Gegenwart Hagens verleugnet Gunther die Tat vor der schmerzgebeugten Schwester. „Ihn schlugen Schächer. Hagen hat es nicht getan.“ „Hundert Messen werden täglich für den Toten gesungen, um seine Seele ward manches tausend Mark gegeben.“

Noch einmal läßt Kriemhild den Sarg aufbrechen, um das geliebte Haupt zu küssen. Dann geht sie ihrem neuen Schicksal entgegen: der Kampf um den Hort, ihre Morgengabe, den Hagen ihr entzieht und im Rheine versenkt, beginnt und endet im grauenhaften Burgundenuntergang am Hunnenhof, wo diese einst so sanfte Kriemhild als wilde Rächerin das blutige Haupt ihres Bruders Gunther vor den gefesselten Hagen trägt. Aber Hagen trotzt: „Den Schatz weiß nun niemand außer Gott und mir, und er soll dir Teufelin immer verborgen bleiben!“

Da erschlägt Kriemhild den Hagen, und ihr zweiter Gatte, Etzel, dem dieser Hagen den Sohn und alle Mannen erschlagen hat, ruft schmerzbewegt aus: „Wie ist nu tot gelegen von eines Wibes handen der allerbeste Degen!“ Dann entledigt man sich dieser blutigen Königin, die man nur Teufelin nennt: „ze stucken was gehouwen dô daz edel Win“. Und Etzel wie Dietrich von Bern stehen weinend über dem Untergang.


Von Brünhild, die, wenn sie die historische Brunichildis wäre, doch gerade durch ihre große Wirksamkeit nach Sigebert-Sigfrids Tod und durch ihren späten, furchtbaren Hinrichtungstod in Erinnerung geblieben sein müßte, ist im ganzen zweiten Teil nicht mehr die Rede.

Die Boten aus Hunnenland sehen sie nicht. Und nur, als die Burgunden zur ‚Podesfahrt aufbrechen, bittet Brünhild den König Gunther, noch zu bleiben, und „trfite noch des nfihtes den sinen wütlichen lip.“


Das also blieb von ihrer Größe: ein Weibchen, das eine Schicksalsfahrt durch Zärtlichkeiten aufhält!


„Die Charakterzeichnung der Nibelungensage enthält ein wunderbar tiefes und farbenprächtiges Bild“, sagt Gudmund Schütte. (S. 48)

Besonders im Nibelungenlied werden die Gestalten ritterlich veredelt. Die historischen Modelle, die ihr Zeitgenosse Gregor von Tours nach eigener Anschauung genau porträtiert, waren meistens Menschen mit ordinären, teilweise niedrigen Eigenschaften, die auf uns einen nichts weniger als heldenhaften Eindruck machen; nur einige wenige, – besonders die Modelle Gottorms, Sigfrids und Brünhilds – gehören in eine höhere Sphäre, die wahrhaft den Heldenruhm verdient. Aber der ritterliche Dichter hat es mit großer Kunst, – mit Genialität, möchte ich sagen -, verstanden, sämtliche Gestalten auf einen höheren Plan zu stellen.“


Gesetzt den Fall, die Merowingerthese hätte recht: Ist Brünhild hier veredelt?

Und darauf käme es doch an!

Dabei ist es mit besonderer Betonung anzuerkennen, daß Gudmud Schütte als einziger bisher ernsthaft die Frage nach Fälschungen in der Charakterzeichnung, nach „ politischer Tendenzdichtung“ gestellt hat (Danske Studier 1934, 145). Aber inbezug auf die Frauen verkennt er die Verzerrung und ihre Ursache, und es bleibt unerfindlich, was die Dichter veranlaßt haben soll, diese „ordinären“ Merowinger, die nichts von Größe haben, zu „veredeln“ und dem heidnischen Norden zur Weiterbearbeitung abzugeben.

Man kann es tragisch und gefährlich nennen, daß wir einem Verwandtenrnörder wie Chlodwig die Religion der Liebe und einem Weib wie Fredegunde das Lied vom Zorn der Brünhild und damit praktisch die Edda verdanken sollen!

Man sollte die Dichter abschaffen!

Ich erinnere an den oben wiedergegebenen Satz Schwieterings und muß ihn wiederholen: „Mit der Verflachung der ursprünglichen, den Grund der Seele aufwühlenden Ursache (der Rache Brünhilds) verfällt nicht nur die Gestalt der Brünhild, sondern überhaupt der heldische Geist der Sage.“ Was konnte denn in der Geschichte „den Grund der Seele aufgewühlt“ haben? War es der Mord an Sigebert nach neunjähriger Ehe mit Brunichildis, der man später fälschlich die Schuld dafür gab?

Oder war es die „Ursache“ ihrer Rachetat – aber welcher? -, der Verrat an ihr und ihrer ermordeten Schwester in der verdorbenen, fremden Welt, die Größe ihrer überdauernden Kraft und ihr furchtbarer Tod? Und was stimmt hier noch zusammen mit der Dichtung?

Wer aber von den natürlich einseitig herausgerissenen – Zitaten aus unserem Nibelungenlied, (die uns leicht das vernichtende Urteil Friedrichs des Großen nachsprechen lassen), zur Edda und Saga Islands blickt und den großen Gegensatz verspürt gerade im Wesen der Frauen und besonders Brünhilds, der kann nicht mehr glauben, daß eine Sagengestalt (geschichtlich gegründet oder nicht), die auf dem Wege zu solcher „Verflachung“ war, im Norden die Brünhildtragödie unserer Eddalieder gezeugt haben könnte. Man muß eine andere Veranlassung suchen und dann andersherum, von Nord nach Süd, die Brünhild Islands wieder zum Dichter an der Donau kommen sehen, wo sie im Mißverstehen einer ihr fremd gewordenen und Islands heidnisches Erbe verfemenden Welt literarisch entstellt und vernichtet wird.

Es gilt, für die Blüte dieser Dichtung im Norden der ausgehenden Heidenzeit den eigenen Mutterboden zu suchen. Die Kunde, die dem Dichter unseres Epos oder seinem Vorgänger von Island als dem Land der Brünhild zugekommen sein mag, jeder kannte sie dort und viele reisten nach Süden -, veranlaßte ihn, den vielleicht vorher anderswo (nach Patzig am Flüßchen Ise) lokalisierten Isenstein mit Island gleichzusetzen oder ihn als Sitz seiner „Islandkönigin“ zu erfinden. Ihm war diese Frau fremd, unnatürlich, unweiblich, unbegreiflich, wie alles Heidnische, vor allem die Frauen.

Niemand kann sagen, was er aus deutschen Quellen von ihr wußte. Jedenfalls ist er bestrebt, sie nach Brechung ihres jungfräulichen Trotzes, nach Zähmung ihrer Kraft in die Zucht und Sitte weiblichen Gehorsams zu verweisen – und zu vergessen. Mag sie ihm nun wirklich als Hauptgestalt der alten Sage – und in dunklem Namenszusammenhang mit jener großen Merowingerkönigin – überkommen sein oder mag ihm der Norden vieles neu gebracht haben, – er verstand sie nicht und verpflanzte sie – nur dies ist sicher – nach dem unverstandenen und verfemten Island, wo man sie kannte und liebte; von Islands Brünhildliebe hörend, machte er die Brünhild, diesen gezähmten Dämon germanischer Weiberkraft in seinen Augen, zur Königin von Island, wo nach allgemeinem Glauben der Eingang zur Hölle war.

Wir finden einmal 39 isländische Pilger als Gäste auf der Reichenau. Wir wissen von dem geistigen Leben auf Island und von der Bedeutung seiner Geschichtschreibung und seiner Klöster. Wir wissen von dem geistigen Austausch zwischen den hohen Freunden Hakon Hakonarson und Friedrich dem Zweiten.

Island wirkte über Bergen nach Rom und Palermo. Es war damals ein Kulturfaktor ersten Ranges. Aber andererseits war es verfemt. Die Kurie legte aus besonderen Gründen Wert darauf, das Datum des christlichen Kulturanschlusses des Nordens erst auf das Jahr 1164 zu legen (16, Anmerkungen folgen), Olaf den Heiligen († 1030) nicht zu kanonisieren, sondern die Unterwerfung der Krone unter den geistlichen Machtanspruch als den Beginn des Christentums in Norwegen zu feiern und leidenschaftlich Islands Unterwerfung unter diese Krone zu fordern. Vorher sah sie „das rauhe, barbarische Volk“ in finsteren Wohnsitzen der Knechtschaft der Götzen.

Vom Kardinal Nikolaus Breakspeare, späterem Papst Hadrian IV., hieß es, er habe Schweden und Norwegen Christo unterworfen und vom Teufel befreit. (vgl. a. Vita Hadriani quarti). In seiner Rede bekennt der Kardinal Wilhelm von Sabina (1247) in Bergen, wie falsch man ihm den Norden als Barbarenland verlästert habe.

Der große Isländer Snorri Sturluson, durch dessen Hände alle isländische Überlieferung ging, wurde Parteigänger des von der klerikalen Partei gegen die Krone gestützten Jarl Skule und deshalb im Auftrag des Königs 1241 getötet.


Es hat mit Polemik gegen die Kirche als solche oder gar gegen das Christentum nichts zu tun, wenn man die Tatsache eines Kulturkampfes in jener Zeit in Rechnung setzt.


Das Wohl der römischen Weltmacht forderte, daß jenes isländische Freibauernerbe nicht weiterwirkte, wie es forderte, daß Island aufhörte, ein Freistaat zu sein.

Nur so erklärt es sich zwanglos, daß das Land der Edda, das rätselvolle Brünhildland, als es – schon getauft (im Jahre 1000) -, noch die Eddalieder sammelte (Snorri!), bei uns als der Eingang zur Hölle bezeichnet wurde, bewohnt von wilden Menschen.

Von Adam von Bremen bis zu Luthers Zeit und weiter erstreckt sich diese Verlästerung.

Die Isländer selbst kannten jene Höllenfabel nicht.

Paul Herrmann sagt: „Die Hekla als Hölle ist also ein Produkt des Auslandes, und zwar der Geistlichkeit.“

Das kleine, gebildete isländische Volk, in dem bald jeder Zweite ein Dichter war, das Freude hatte am Wissen von der Welt und die Weite der Welt liebte, dem Hamburg und Romaburg, Paris, Lissabon, Koenugard (Kiew) und Miklagard (Byzanz), ja das Serkland (Arabien) und Palästina vertraute Namen waren, pflegte neben sehr lebendigem christlichen Wissen auch ein aus vorchristlichem Erbe stammendes Gut. Das war, wie wenn ein christliches Haus ein heidnisches Zauberzeichen barg.

Ein Grönländer wurde wegen solchen Besitzes um 1400 verbrannt.

Und der erste isländisch-christliche Gelehrte, der in Paris studierte Sämund, dem man lange Zeit die Edda zuschrieb, galt als Schwarzkünstler.

Das ganze Volk und Land der Isländer schien dem fanatisch besorgten Sinn eines Teiles der Kirchenführung im höllischen Feuer zu stehen. Der von Jarl Skule um 1220 geplante Zug gegen Island steht wie frühere gleiche Königspläne mit diesem Gegensatz wahrscheinlich in Verbindung, und ebenso dann das Verstummen Islands, das schließlich „einen vielhundertjährigen Todesschlaf“ schlief.

Erst im Jahre 1643 fand man auf einem vergessenen isländischen Hof die Handschrift der Liederedda, – mit den acht leeren Blättern, dort, wo Brünhilds Lieder gestanden hatten!

Man wußte bei uns zur Zeit des Nibelungenliedes, zur Zeit Walthers und Wolframs und Friedrichs des Zweiten, dem Hakon in Bergen Islandfalken schickte, wenig sonst von Island.

Nur im Nibelungenlied ersteht eine „Islandkönigin“ Brünhild, die stolze, fremde Frau des Nordens, – und wird vergewaltigt und gezähmt. Wir aber pflegen mit dem allein des „Weges kundigen“ Sigfrid des Nibelungenepos hinaufzufahren in ihr Land, um sie als Gunthers Braut hereinzuholen in die mittelalterliche Welt des Südens, und wissen nicht zu sagen, wie sie da oben Heimatrecht gewann und warum Sigfrid sie von dort her kennt.

Ein „Mysterium“, sagt man (s. o.).

Die „uralte Isafold“, die „fjällkona“, das „Felsenweib“, wie Island im Nationallied heißt, thront mit leuchtenden Gletscherbergen über rätselhaft dunkler Flut; „wie ein Schwan auf der Woge“, sagt der Dichter der Völsungasaga von der Brünhild, zu der die Werber kommen, (ein bisher „unverständlicher“ Vergleich, Thule, 21,100).

So erscheint uns Island nach seinem Wesen und Schicksal wie die Brünhild selbst, die nach einer Eddastelle „erfüllt von Eis und Gletscher“ in den Abend schaut (Sg. 8). Wer vom hohen Meere aus zum ersten Mal die breiten Islandgletscher über dunklem Grunde sieht, wie es die heidnischen Landnehmer einst sahen, der mag jenes Wort vom „Schwan auf der Woge“ auf Island beziehen. Was aber geschah ihr und Island, als nach Durchreiten der Waberlohe Sigurd in Gunnars fremder Gestalt fordernd und werbend vor sie tritt? „Sie antwortete“, heißt es, „aus ernstem Sinnen von ihrem Hochsitz aus, wie ein Schwan von der Woge, und hatte ein Schwert in Händen und einen Helm auf dem Haupt, und war in der Brünne. „Gunnar“, sagte sie, „sprich solche Werbung nicht zu mir, außer wenn du jedem Manne überlegen bist.“

Vielleicht hat der sonst recht schwache Dichter der Völsungensaga hier ein verlorenes Liedstück bewahrt, und dachte als er die stolze und manchem „Werber“ den Tod bringende Frau einem lichten Schwan auf dunkler Flut verglich, an die „Fjällkona“ Island selbst, die das Brünhildenschicksal erlebte zugleich mit dem Götterende.

Jedenfalls hat uns dieses Island allein die Brünhildgestalt wirklich bewahrt, die niemals aus dem verzerrten Bilde des Nibelungenliedes erkannt werden kann.

Und wenn die Verzerrung ihres Bildes ihre eigentliche Ursache im großen Glaubenswechsel von Süden gesehen – hat,so hat die Bewahrung und Verherrlichung ihrer Gestalt wohl ihren Grund in dem von, Norden, vom Heidentum aus gesehenen Glaubenswechsel, wie man ihn nur von Island aus sehen kann.


Weiter mit Teil 4