Der Glaube,
daß erst der ihm beigelegte Name als ein Gefäß der Lebenskraft das Kind zum lebendigen Menschen macht, daß also dem Kinde das Leben erst im Namen von dem Benennenden gegeben wird, ist Zeugnis dafür, wie
alle irgendwie übermenschliche Macht durch den Menschen hindurch und aus ihm heraus wirksam gedacht wird.
In scharfen Gegensatz hierzu tritt der aus spätheidnischer und christlicher Zeit stark bezeugte „Schicksalsglaube“. Dieses Schicksal ist eine kalte, sinnlos wirkende, unbeeinflußbare Macht, von außen dein Leben des Heiden, das aus seinem Innern sich gestaltet, eine lähmende Fessel anlegend, ihn zwingend zur Selbstaufgabe:
„Geschehen mag es, wie das Schicksal es will“.
Selbstverständlich kann erst die vollzogene Selbstaufgabe als „Schicksalsglaube“ bezeichnet werden. Solange der Mensch sich wehrt gegen eine fremde Macht, glaubt er nicht an sie als an etwas ihm übergeordnetes. Wer sich gegen das Schicksal noch wehrt, wehrt sich auch noch gegen den Schicksalsglauben.
Schon der Gedanke an einen Widerstand gegen das Schicksal, der nicht entstehen kann ohne den Glauben an die Möglichkeit des Sieges, schließt jeden Schicksalsglauben aus; denn ein überwindbares Schicksal ist kein Schicksal mehr.
Helm sagt:
„Es ist einer der festesten Sätze alten germanischen Heidentums, daß ein Schicksal unentrinnbar das ganze Leben des Einzelnen wie der Völker beherrsche.“
Diese Auffassung, die die allgemeingültige ist, muß ich bestreiten!
Der tiefe Zwiespalt zwischen dem „Fatalismus“, der Hingabe an eine blindwirkende, äußere fremde Macht, und dem Grundzug nordgermanischen Wesens, das Leben vom ersten bis zum letzten Augenblick kraft eigener Machtvollkommenheit selbst zu führen und zu bestimmen, wurde allgemein anerkannt, aber wohl nie richtig erklärt und nie in den gebührenden Zusammenhang gebracht mit dem anderen Zwiespalt, der sich zwischen dem Schicksalsgläubigen und dem GottGläubigen auftut.
Die Wissenschaft hat nicht das Recht, die Sprache der verstreuten Quellenzeugnisse, die uns der Zufall bietet, an Beweiskraft über die Gründe des gesunden Menschenverstandes zu stellen, der der berufene Richter und Sichter des überlieferten toten Stoffes bleiben muß. Diesem aber erscheint der Glaube an ein Schicksal, das Götter und Menschen unerbittlich beherrscht, neben dem Glauben an einen „allmächtigen Asen“, an einen „fulltrui“, an irgend eine gute, helfende göttliche Macht oder an die Sieg verbürgende eigene Kraft und Stärke als eine seelische Unmöglichkeit.
Unter der Herrschaft eines allwaltenden Schicksals ist aller Glaube nur ein mythologisches Spiel; denn Gott selbst kann nicht mit seinem Widerspruch in einem Tempel, in einer Menschenbrust wohnen, und es hat daher auch auf der Welt noch keinen Schicksalsgläubigen gegeben, der sein Vertrauen auf einen Gott oder auf die Siegerkraft des Guten und Wertvollen in sich selbst gesetzt hätte.
Ist der Glaube an das unentrinnbare Schicksal wirklich verwurzelt im germanischen Glaubensleben?
Dann muß man nicht nur den Ursprung des germanischen Gottesbegriffes und des germanischen Gottesvertrauens, sondern auch die Heimat jener Kraft, die den germanischen Menschen wie keinen anderen antreibt, sich „um seiner Seele Seligkeit willen“ gegen das fremde Schicksal zu wehren, die Heimat jenes frohen Glaubens, daß der Erfolg abhängt vom inneren Wert des Menschen und nicht von äußeren Mächten, außerhalb der germanischen Seele suchen; denn aus jenem Seelengrund, aus welchem einem Thorolf der kindlich fromme Gedanke seines allmächtigen, unbesiegbaren Gott-Freundes erwuchs, kann nicht gleichzeitig und ohne Überwindung dieses Gottesbegriffs der Glaube an eine Schicksalsmacht erwachsen sein, die herzlos und übermächtig mit Mensch und Gottheit spielt.
Wir müssen endlich damit aufhören, verführt besonders durch die Edda, uns die germanische Gotteswelt überspannt zu denken von einer unerbittlichen, unbeeinflußbaren Macht, die mit kaltem Lächeln auf dem Weltenthron sitzend alles menschliche Sinnen und Trachten, d. h. vor allem jedes Gottsuchen, für sinnlosen Wahn erklärt. Solange wir jene greisenhafte Erkenntnis der vom Leben Enttäuschten, daß alles Wünschen und Streben in Haß und Liebe an der seelenlosen Willkür eines unerbittlichen Schicksals seine unübersteigbare Grenze findet, in die kinderfrommen Herzen weltfroher nordischer Bauern hineinverlegen, spüren wir keinen Hauch ihres lebendigen Glaubenslebens und finden für die Religionsgeschichte in ihnen nichts als mythologische Spielerei.
Man muß erst blind sein gegen den gottverneinenden Sinn des Schicksalsgedankens, ehe man ein geglaubtes Schicksal und einen geglaubten Gott nebeneinander in einem Menschenherzen sich vorstellen kann. Jeder Glaube, und Glaube ist immer Jugend, und gläubige Jugend hat immer recht – sucht sich des Schicksals zu erwehren, indem er es leugnet; freilich wurde von jeher solchem Glauben widersprochen von jenen atheistischen „Besserwissern“ derer, die, alt und kurzsichtig geworden, nun statt der blühenden Heimatgärten ihrer Seele im Herzen Gottes mir noch das graue Ödland eines blinden Schicksals sehen. Ihnen trotzend aber starb von jeher die Jugend für ihren Glauben, oder sie ließ sich diesen Glauben zum Wahn machen und „resignierte“ vor dem Schicksal.
Und so geschah es auch dem jungen germanischen Glauben, als der Süden ihn überwand. Das spüren wir noch heute an dem Heimweh nach der toten Jugend unserer Seele, wie an dem unverwüstlich fortlebenden Schicksalsglauben aller christlichen Jahrhunderte. Es muß hier sogleich noch erwähnt werden, daß von einem Ansatz zum Monotheismus, den man folgern wollte, weil der Schicksalsglaube am Ende der nordischen Religionsentwicklung beherrschend sichtbar wird, nicht die Rede sein kann. Auch Helm spricht‘ „von einer Art monotheistischen Schicksalsglaubens“, der sich hätte entwickeln können, wenn der Glaubenswechsel ausblieb.
Aber was ist zunächst „monotheistischer Schicksalsglaube“?
Eine Konstruktion, die noch in keinem Menschenherzen ihre Lebensfähigkeit erwiesen hat und nie erweisen wird. Der Vergleichspunkt zwischen dem einen Gott und dein Schicksal ist nur die Einzahl. Sonst sind sie vollendete Gegensätze, und zwischen ihnen liegt die ganze Welt des Glaubens beschlossen. Gott hört auf, Gott zu sein, wenn er nicht mehr beeinflußbar und erreichbar ist durch Gottesdienst. Schicksal hört auf, Schicksal zu sein, sobald es irgendwie einem frommen Sehnen faßbar und beeinflußbar wird, sobald es nicht mehr blind waltet, sondern regiert.
Wie soll sich beides jemals vereinigen?
Schicksal ist die Ausflucht oder Ausrede des Atheismus, der von jeher der Gegenpol des wahren Eingottglaubens war, jedoch nie der Weg zu ihm hin. Es ist aber bezeichnend, daß Helm, befangen in diesem „germanischen Schicksalsglauben“, den germanischen Freund-Gottbegriff ganz übergeht, und daß ihm „der unerforschliche, also unbeeinflußbar „göttliche Wille“‚ der germanische Gottesbegriff schlechthin zu sein scheint, was schon der Saga gegenüber unhaltbar ist. Und von hier aus ist es endlich verständlich, wenn Helm einen dauernden religiösen Zwiespalt in der Seele der Germanen annimmt, so, als hätte die germanische Seele Jahrtausende zwischen Tod und Leben auf dem Siechenbett gelegen.
Verzweiflungskämpfe gegen unentrinnbare Mächte, und ein solcher ist der aus der Bekehrungszeit stark bezeugte Kampf gegen das erkannte Schicksal, pflegen nicht lange zu dauern. Ein längerer Schwebezustand zwischen Gott- oder Selbst-Vertrauen und Schicksalsangst ist undenkbar. Er muß entweder aufwärts nach einer gotterfüllten oder abwärts nach einer gottfernen Zeit sich entwickeln. Die Weltgeschichte zeigt uns hier ewigen Wechsel: Zeiten, die den überkommenen Gott über Bord werfen, erkennen vorübergehend das Schicksal als Herrscher an, bis ein neues Gottbewußtsein die Menschen wieder von diesem Schicksal erlöst. Man denke an den Schicksalsglauben, wie ihn die deutschen Sturm- und Drang-Dichter aus der „gottlosen“ Aufklärung mitbrachten, und an seine Überwindung in dein Menschen der Goethezeit, der sich selbst mit seinem neuen Gottgefühl befreit:
„Schicksal! Sind wir nicht selbst?“ (Goethe)
Während Prometheus-Goethe noch dem Gotte trott:
„Hat nicht mich zum Manne geschmiedet die allmächtige Zeit und das ewige Schicksal, meine Herren und Deine?“
Man wird sich bei diesem Nebeneinander von Schicksal und Zeit der iranischen Entsprechung des nordischen Schicksalsglaubens erinnern [Zervan Akarana]. Diese „unbegrenzte Zeit“ wurde bekanntlich erst unter den Sasaniden dem Gott des Guten wie seinem Widerspiel übergeordnet.
Betrachtet man mit dem nun geweckten Mißtrauen gegen einen altererbten germanischen Schicksalsglauben als Bestandteil oder gar als Gipfel der altgermanischen Religion die Quellen, so zeigen auch sie klar und eindeutig diesen Schicksalsglauben als den Widerspruch des heidnischen Glaubens und nicht als den Glauben selbst.
Wir sahen, göttliche Macht äußert sich für den Nordgermanen nur in freundschaftlicher aktiver Unterstützung des Menschen und seiner Lebensinteressen, und nur so wird die völlige Hereinverlegung der göttlichen Macht in die eigene Menschenbrust erklärlich. Jede Heidengottheit wirkt lebenserhaltend und lebensfördernd, das Schicksal aber lähmt und fesselt das Leben.
Denn Leben ist für den Nordmann Handeln, Angreifen, Unternehmen. Aufgeben des Rechtes zu eigener Lebensgestaltung, des Selbstbestimmungsrechtes, ist ihm der Tod.
Daher ist der Schicksalsglaube überall trostlose Resignation, und Ergebung in das Schicksal eine Art seelischer Selbstmord, Verzicht auf das Leben. Der Schicksalsglaube stellt im Rahmen der geschilderten Glaubensentwicklung die Kapitulation vor Utgards Mächten dar. Das Schicksal, in seiner Wirkung der unheimlichen Heerfessel gleich, bewirkt die Todesstarre des menschlichen anderen „Ich“, der „fylgjur“, der menschlichen Lebenskraft, und ist eine Schwester der Hel.
Es gibt auch nach den Quellen keinen Gott- und Schicksalsglauben nebeneinander.
Der dem Schicksal hörige Gott ist kein „fulltrui“ mehr, sondern eine mythologische Gestalt. Im Schicksalsglauben wird der Gottglaube überwunden, die Macht von innen wird von der Macht von außen zum Schweigen gebracht. In der Gislasaga, die Mogk „eine der großartigsten Schicksalstragödien, die die nordische Dichtung besibt,“ genannt hat, und die diesen Titel eben deshalb verdient, weil in ihr das Schicksal Gott und Menschen besiegt und friedlos macht, heißt es da, wo Gisli versucht, das Unheil, das er nahen sieht, durch ein vierfaches Blutsbündnis zu bannen:
„Sie riefen alle Götter zu Zeugen an.“ (Girl. c. 6,12)
Aber dann, als im letzten Augenblick die Blutsbrüderschaft nicht zustande kommt, sagt Gisli mit unheimlicher Vorausahnung der Schicksalstragödie seines Ächterlebens:
„Nun ging es, wie ich fürchtete: mir ahnt auch, daß nun das Schicksal seine Hand im Spiele hat“.
Schärfer kann der Gegensatz zwischen göttlicher und Schicksals-Macht nicht zum Ausdruck kommen. Der Heide widersteht sich diesem Schicksal, sträubt sich mit allen Kräften gegen die Anerkennung dieser äußeren, fremden Gewalt, die ihren Willen blind und herzlos dem Menschenwillen, der sein Geschick sich selbst zu schaffen gewöhnt ist, aufzwingt. Das eben unterscheidet den germanischen Helden scharf vom irischen und anderen und bringt das Tragische in jedes Heldenlied: er ist gewöhnt, sein Inneres verantwortlich zu machen für alles, was mit ihm geschieht.
Friedrich von der Leyen hat darauf hingewiesen, wie gerade in den spätnordischen Helden- und Götterliedern „eine tiefere Auffassung des Schicksals“ zu beobachten ist.
„Seine Härte, seine grausame Unergründlichkeit, sein jäher Wechsel und seine Gewalt über ganze Folgen von Heldengeschlechtern gewinnen einen großen, herben und gefaßten Ausdruck.“
Diese „tiefere Auffassung des Schicksals“ entspringt aber nur einer schmerzlichen Erfahrung der Wikingerzeit, einer Abenteurer- und Glücksritterweisheit, die im scharfen Gegensatz steht zu dem alteingesessenen Glaubensbekenntnis:
„Was der Mensch säet, das wird er ernten“,
und die dem Norden den Zufall und das „Glück“ in unserem oberflächlichen Sinne bekannt macht. Die jähen Wechselfälle des Seeräuberkrieges, des Abenteurerlebens lösen die Lebenskette von Ursache und Wirkung in eine wahllose Folge von Zufällen auf.
Aber dem nordischen Bauern entwickelt sich das Leben in notwendiger Folgerichtigkeit. Er weiß: Wenn er es an nichts fehlen läßt, kann auch der Erfolg nicht fehlen. Selbst das Wetter ist ihm, solange er richtig handelt, untertan. Und während jene Entwurzelten den Zufall zu ihrem Herrn und Gott krönen, erhält er sich die gewisse Zuversicht, daß in seiner eigenen Brust seines Schicksals Sterne sind.
Wenn Helm sagt:
„Dem Germanen ist es eine Selbstverständlichkeit gewesen, daß sein ganzes Dasein gebunden war“,
und dabei äußere Bindungen im Auge hat, so ist das genau das Gegenteil von dem, was jeder Sagaheld uns zeigt: dem Germanen ist es eine Selbstverständlichkeit gewesen, ungebunden zu sein und nur seinem eigenen Inneren verantwortlich, nur seinem eigenen Willen untertan zu sein.
Es ist nicht wahr, daß sein irdisches Los sein Herr bestimmte, wie Helm behauptet, und auch nicht wahr, daß er sich je in eines Gottes Gewalt ergab, so lange er noch dem tätigen Leben zugehörte.
Nur Übereinstimmung, Einwilligkeit zwischen Herr und Gefolgsmann, zwischen Gott und Mensch, machte Herren- und Gottesdienst möglich. Nur sein eigener Wille schrieb dem Manne seine Taten vor. Friedrich von der Leyen erinnert an die bekannte Nornagestsage und vergleicht sie mit der entsprechenden griechischen Meleager Sage.
Der germanische Held, dem an der Wiege geweissagt wurde, daß er nur so lange leben werde, bis die neben ihm stehende Kerze abgebrannt sei, trägt diese Kerze, die besorgte Hände ihm vor dem Abbrennen hüteten, bei sich, bis er selbst, des Lebens müde, sie niederbrennen läßt. Er hat sein Schicksal in der Hand, in der Tasche bei sich.
Er glaubt mit Goethe:
Der Mensch stirbt, wann er will.
Daher hat eben alles Tragische in germanischer Sage und Geschichte seine Quelle nur immer in dein Glauben an die Abhängigkeit der äußeren von der inneren Welt. Daß der Zufall siegt über das innerlich Notwendige, daß das fremde Schicksal siegt über den heimischen Gott: das will und kann der Heide nicht glauben, solange er noch Heide ist.
Das ganze germanische Heidentum wehrt sich gegen den Schicksalsglauben!
Und wo dieser Kampf nicht mehr sichtbar ist, sondern nur noch des Schicksals Übermacht und Herrschaft, da haben wir keine Tragik mehr, und da findet dann allerdings „der Spieltrieb“ der dichterischen Phantasie „keine Gewalten mehr, die ihn bändigen und zurückhalten“, da wird die Dichtung albern, weil sie alles Geschehen statt aus dem Wesen des Menschen aus den Zufällen, die er erleidet, erklärt.
Der Schicksalsglaube ist der Tod aller dramatischen Poesie, der Kampf gegen ihn aber ist ihr eigentliches Feld und deshalb ist die altnordische Dichtung und Prosa so dramatisch. So wenig wie Wallensteins oder Tassos Untergang in unseren, ist das Ende eines nordischen Helden in heidnischen Augen bloß Schicksalsschluß oder Eingriff einer äußeren göttlichen Macht gewesen.
Erst als sich den heidnischen Augen der innere Gott entzog, stieg vor ihnen übermächtig das Schicksal auf, und der Trog begann den Verzweiflungskampf, der ausging im Schicksalsglauben.
Und die germanische Religion wie die germanische Kunst blieben auf der Walstatt, bis beide wieder auferweckt wurden zu jener Zeit, die mit Recht als der Beginn der germanischen Wiedererstehung gefeiert wird. Es ist Trog gegen diese fremde Schicksalsmacht, wenn Björn trog aller Traumwarnung seines Weges geht.
Ingimund weigert sich, sich von der Völva sein Schicksal bestimmen zu lassen.
Der ganze Glaube an die eigene Macht und Stärke, der ausdrücklich die Götter ablehnt, ist ein Aufbäumen gegen dieses fremde Schicksal. Egils ingrimmige Drohung gegen Ägir und Ran, die ihm seinen Sohn raubten (Son. 8), ist ein zähneknirschendes (weil aussichtsloses) Auflehnen gegen die Schicksalsmacht.
Die Tat der Walküre, die nach eigenem Ermessen, entgegen Odins Gebot, den Kampf entscheidet, (Fm. 43,8), und Sigurds freies Durchbrechen ihres Bannes und seine Erlösertat ist Sieg über das Schicksal.
Der feste Glaube an die Abhängigkeit aller äußeren Erfolge vom inneren Wert (Neiding und Unglücksmann sind eines) wehrt sich gegen das blindwaltende Schicksal. Und allein die Erkenntnis, daß die Sieghaftigkeit der inneren Lebensmacht überwunden wird von einer äußeren Gewalt, an der man sich nicht rächen, nicht schadlos halten kann, erzeugt die Ergebung in das Schicksal. Daraus folgt, daß Schicksalsglaube nur demjenigen eignen kann, der bereits auf das aktive Leben heidnischer Art verzichten mußte.
Das gilt von den Eddagöttern, die die Nornen anerkennen müssen, genau wie von den „schicksalsfrommen“ Sagahelden.
Wer dem Schicksal sich beugt, überantwortet sich dem Tod.
Der Mensch ist todgeweiht (feigr), über dessen Lebensmacht das Schicksal triumphiert. „Er ist jetzt todgeweiht“, sagt Njals Sohn Skarphedinn von seinem Vater (Nj. 128i 12), als dieser den Seinen rät, vor den Angreifern in das Haus zurückzuweichen und das Schicksal drinnen zu erwarten, anstatt sich draußen zu wehren. Njal weiß das selbst, legt sich dann unter eine Ochsenhaut und rührt sich nicht mehr, bis die Seinen tot sind und das Haus in Asche liegt und er selbst erstickt ist. Von ihren Fylgjen Verlassene, Friedlose und Einsame sind diesem Schicksal verfallen. Der seelische Tod ist Voraussehung, der leibliche muß folgen. Verwaiste Väter, die keine Möglichkeit wissen, den gelösten Lebensring der Sippe durch Blutrache oder andere Genugtuung wieder zu verknüpfen, überantworten sich wie Egil oder Njal dem Schicksal, legen sich freiwillig zum Sterben. Man denke dagegen an den greisen Havard (Häv. s. fsf.), den die Möglichkeit, Genugtuung für seinen gemordeten Sohn zu bekommen, dreimal vom Siechenbett emporreißt, bis er schließlich die Rachepflicht mit jugendlicher Kraft erfüllt. Hier aber zeigt sich nun eine Verbindung dieses blindwaltenden Schicksals, das nur der Todgeweihte anerkennt, mit den Totengöttern. Egil sieht die Hel am Vorgebirge stehen (Son. 25), und er will sie ohne Trauer erwarten.
Im Schicksalsdrama von Baldrs Tod ist Odin nach Detters Beweisführung (PBB. 19, S. 495), die Much zwingend nennt (ZfdA. 61, S. 94), ursprünglich der Anstifter des Mordes an Baldr. Da die Dichtung Baldr genau wie Thor zum Sohne Odins gemacht hat, mußte Odin durch seinen Blutsbruder Loki ersetzt werden.
Wenn Detter (PBB. 19, S. 516) den Baldrmythus, das heißt also die Tragödie vom Sieg des blindwaltenden Schicksals (Hödr-Odin) über das blühende Leben (Baldr), eine Illustration nennt zu dem in der nordischen Literatur so oft wiederkehrenden Gedanken: „Skopum vidr manngi“, so erscheint Odin geradezu als die Personifikation dieses Schicksals, das blind waltet und jedes Vertrauen betrügt. Genau dasselbe gilt natürlich von dem Odin, der die Walküre mit dem Schlafdorn sticht zur „Strafe“ für ihre selbständige Entscheidung.
Wie im Baldrmythus Odin als Schicksal wirkt, als „echter Diabolus“ (Detter, PBB. 19, S. 506) das Böse im Kampf gegen das Gute zum Siege führend, zeigt er deutlich jene Verknüpfung zwischen Schicksals- und Totengott-Glaube und zugleich den Abstand solchen Glaubens von der bisher geschilderten heidnischen Religion.
„Durch den Gott Odin redet dies Schicksal seine mächtigste Sprache“,
sagt Friedrich von der Leyen.
„Unersättlich, tückisch, wankelmütig, seine Günstlinge wahllos hebend und stürzend, waltet dieser Gott, dem Kriege gleich, seines Amtes.“
Es ist der Gott der entwurzelten Wikinger, unendlich weit entfernt von dem „fulltrui“ des unbeeinflußten germanischen Bauern. Diesem Schicksalsgott, der unheimlich emporwuchs aus dem Zusammenprall von Süd und Nord, erlag der altgermanische Geist und Glaube.
Um diesen aber zu sehen, muß man ihn da suchen, wo er sich noch wehrt, wo er noch nicht erlegen ist. In den Isländersagas, deren Helden, abgesehen von dem weit-gereisten Egil oder dem Königsskalden Hallfred, nichts von einem Gott Odin gewußt zu haben scheinen, vermag sich das Schicksal natürlich noch nicht eines solchen „Gottes“ zu bedienen.
Nur in der Njalssaga haben wir eine sehr bemerkenswerte Erzählung: Flosi, der, lange vor seiner Neidingstat (dem Mordbrand), Christ geworden ist und sich unmittelbar vor der Tat noch eine Messe lesen läßt, hat nach der Tat in seinem schlechten Gewissen, vor allem aber in der Angst vor der Blutrache des gefährlichen Kari, einen Traum. Ein alter Mann tritt aus einem sich öffnenden Berghang, einen eisernen Stab in der Hand, und zählt die Mordbrenner namentlich in Gruppen auf, uni dann wieder zu verschwinden. Ketil deutet Flosidas Traumgesicht. Er meint, sie werden alle todgeweiht sein, die aufgerufen wurden. (Nj. 133/10). Wir haben hier also ein Wesen, das die Reihenfolge, in der die Mordbrenner von ihrem Schicksal ereilt werden, dem friedlosen Christen Flosi kundgibt. Von diesem durch den Mund des rätselhaften Geistes verkündeten Schicksalsspruch, der sich natürlich unbedingt erfüllt, hinüber zu dem Totengott, der seine Opfer durch die Walküren nach Walhall zitiert, ist kein weiter Weg.
Man tut gut, an diesem Endpunkt der Entwicklung angelangt, noch einmal im Oberblick über das Ganze die Kluft zu beachten, die sich auftut zwischen einem Thorolf Mostrarskegg (Eb.) und einem Flosi (Nj.). Der Glaube an einen „fulltrui“, an einen göttlichen Freund, von dem sich der Landnehmer Thorolf beseelt dachte und dessen Namen er und die Seinen trugen, wurde zur Erkenntnis der leben‑wirkenden, dem Menschen innewohnenden Macht, der lebensmächtigen Seele, deren Ursprung man vergaß. Und dieser so in den Menschen hineingebannte Gott wird nach verzweifeltem Kampf vom Schicksal überwunden. Angstvoll und wehrlos steht der Mensch vor der fremden Macht, die ihn beherrscht, und seinen Todestag, der erst abhängig war von seinem „mátt ok megin“, von seinen „fylgjur“, von seinem Freunde Gott, willkürlich ihm bestimmt.
Solange noch ein „Thor“ Midgard schützte, war Gottverbundenheit das Ziel des Gottesdienstes und Lebenserhaltung Sinn und Zweck des göttlichen Seins. Jetzt, im Schatten des Schicksalsglaubens, sucht das religiöse Denken den Tod und was dahinter steht, das Grab, die Hel, den Totengott. Todesabwehr ist Ziel des Gottesdienstes, wo sich solcher noch zu bilden vermag, und Lebensvernichtung ist Sinn und Zweck des göttlichen Seins. Die Gottheit kann nicht mehr schützen, sondern nur noch verschonen.
Und mir scheint allerdings jene Mischung von Schicksalsergebenheit und von „Furcht des Herrn“, die betet: „Herr, verschone uns“, bis heute bei den bekehrten Germanen die herrschende religiöse Einstellung geblieben zu sein. Diese Bedeutung des Schicksalsglaubens, nicht als Gipfelpunkt, sondern als Widerspiel heidnischer Frömmigkeit, wird meist verkannt.
So sagt Konrad Maurer:
„Tief wurzelte im Gemüte des Nordmanns der Glaube an eine höhere Weltordnung, an eine unabwendbare Gewalt, welche über dem Menschen stehend, dessen Geschicke nach Willkür bestimme.“
Die „Willkür“ aber widerspricht der „höheren Weltordnung“. Die willkürlich waltende Macht muß dem Menschen notwendig als eine feindlich-zerstörende erscheinen. Was heißt es auch, wenn Ranke in der Einleitung zur Gislasaga-Übersetzung sagt:
„Es ist kein stumpfer, es ist der tätige Fatalismus des Germanen, der dem, was kommen muß, nicht tatenlos entgegenwartet, sondern den Kampf mit dem Schicksal aufnimmt und das drohende Unheil mit allen Mitteln abzuwenden sucht?“
Ein „tätiger Fatalismus“ ist so paradox wie Maurers willkürliche Weltordnung. Die Macht, die den Germanen gegen das Schicksal kämpfen heißt, ist seine Religion und der Schicksalsglaube, der „Fatalismus“, das Zeichen ihrer Niederlage. Wo dieser „Fatalismus“ noch „tätig“ ist, ist eben nur der Kampf noch nicht zu Ende.
Wenn die „heroische Größe“ des germanischen Helden nur darin beruht hat, daß er „aufrecht dem Unvermeidlichen entgegengeht, ihm nicht in feiger Angst, sondern in männlicher Würde zu erliegen“, wie Helm sagt, so dürften uns keine heldischen Siege überliefert, sein. Denn, mag es gewiß ein heldischer Zug sein, Unvermeidliches mit Würde zu tragen: auch selbstbewußte Siegeszuversicht gehört zum Heldentum.
Der Norden ist nicht nur heldenhaft gestorben und unterlegen, sondern hat vorher heldisch gelebt und gesiegt. Auch als „eine Vermittlung zwischen der Idee des antiken Fatalismus und dem modernen Begriff der Willensfreiheit“, wie Wilhelm Henzen gemeint hat“, vermag ich „die altnordische Anschauung von dem über dem Menschen waltenden Schicksal“ nicht anzusehen. Im Norden wird vor unseren Augen umgekehrt die Willensfreiheit im Fatalismus restlos gebunden.
Axel Olrik sieht im Schicksalsglauben der Sagawelt das dunkle Verhältnis des übernatürlichen zum Menschenleben als etwas Neues. Dieses dunkle Verhältnis aber ist eben im Gegensatz zu dem klaren Verhältnis zwischen Mensch und Gott-Freund das Zeichen für die Herkunft des Schicksalsglaubens von der entgegengesetzten Seite, von der Nachtseite des Lebens, vom geistigen Tod.
Auch Grönbech hat nicht recht, wenn er in Bezug auf die Heldendichtung sagt:
„Wir erleben die Macht des Schicksals, wie sie vom Helden selbst gefühlt wird, wenn er seine Geschichte als das unbeugsame Etwas und doch als seinen eigenen Willen empfindet, den er durch die unumgänglichen Handlungen kraftvoll fördert.“
Unter einem „kraftvoll Fördern“ durch „unumgängliche Handlungen“ weiß ich mir nichts vorzustellen. Was ein Christus auf dem Ölberg vermochte, nachdem selbst er noch das Unumgängliche abzuwehren gesucht, das haben weder seine Jünger im Allgemeinen, noch jene Heiden über sich gebracht. So etwas gibt es nur in der Höhenluft engster Gottverbundenheit, bewußtester Gotteskindschaft, die das fremde Schicksal wieder zum „lieben Vater“ macht.
Das zähneknirschende „Sichdreinergeben“ des vom Schicksal gelähmten Menschen ergibt nur jenen sinnlosen Widerstand aus Selbsterhaltungstrieb: der Held weiß sich todgeweiht und wehrt sich doch, ohne Aussicht auf Sieg (vgl. HHv. 33, 0-10). Nur der Arm wehrt sich, nicht der Mut; der weiß nichts mehr von Siegeshoffnung. Und das Mittel, dessen sich das Schicksal bedient, um auch den Widerstand des Armes zu brechen, ist jene rätselhafte „Heerfessel“.
Hörd, der Geächtete, ist schon todgeweiht, als er dem trügerischen Fährmann traut und die einsame Insel und seine weinende Frau, die weiter sieht und mehr weiß von dem, was nun kommen muß, verläßt. Dann, am Land, von allen Seiten angefallen, wehrt er sich verzweifelt und sucht sein Leben zu retten. Da kommt die Heerfessel über Hörd. Zweimal schlägt er sie von sich. Endlich bindet sie ihn, eine rätselhafte, unsichtbare Fessel. Nun wird er umstellt und erschlagen. Er ist todgeweiht und kann nicht entkommen (Hard. c. 36). Und die Vorstellung der Heerfesselist im Grunde nichts anderes als diese allen Widerstand lähmende Erkenntnis des Todgeweihten: „Es ist umsonst“. Alle Lebenskraft ist entwichen, die Fylgja, die Hamingja« ist fort. Die Todesstarre tritt ein.
Man denkt an jenen Traum Brynhildes, den sie dem König Gunnar, der um seines Verrates willen an seinem Blutsfreund Sigurd todgeweiht ist, erzählt:
„Du, Fürst, rittest, des Frohsinns bar, die Fessel am Fuß ins Feindesheer.“ (Genzmer, Thule 1, S. 37)
Die Heerfessel ist also gleichsam ein Werkzeug des Schicksals, mit dem es die ihm verfallenen Todgeweihten fängt; denn nur Todgeweihte, seelisch Tote sind es, die sich dem Schicksal ergeben.
Der Nordgermane lebte durch die Tat: gelebt-werden war so viel wie tot-sein.
Endlich sei noch darauf hingewiesen, daß dieser Schicksalsglaube, der sich uns als das Gegenteil von heidnischer Frömmigkeit herausgestellt hat, in unseren Quellen oft christlichen Ursprungs ist.
Denn er lebt — das zeigt unter anderen auch Saxo — noch lange ungemindert fort. Auch daraus darf man folgern, daß der Schicksalsglaube ein Neutrum ist, international, und überall da hervortritt, wo ihn kein religiöses Leben mehr fernzuhalten vermag. Für den Religionswechsel war er ein günstiges Feld; auf diesem Ödland baute sich der fremde Glaube an den fernen außerweltlichen Gott am bequemsten an. Nur fehlte dieser Saat ins Nichts sehr lange die Kraft zum Leben. Der neue Gott, der sich nicht an den alten Freund-Gott, sondern an dessen Widerspiel anschloß, blieb lange ohne Seele. Und wo er Seele bekam, da war’s nur dadurch, daß ihn die Frommen heimlich Freund und Bruder nannten nach alter Weise.
Aber im Allgemeinen, für das öffentliche Leben, blieb das Schicksal Gott.
„So hoch stand Gott über dem Menschen“, sagt Hans von Schubert von dem Gottesbegriff der bekehrten Germanen, „daß sich der heidnische Schicksalsgedanke damit verbinden konnte“.
Und in diesem Zusammenhang mag es gestattet sein, darauf hinzuweisen, daß der Dichter des „24. Februar“, der Begründer der deutschen „Schicksalstragödie“, wie man paradox diese Dichtungsart genannt hat,
ein katholischer Priester
war.
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Quelle: Auszug, „Midgards Untergang“ (Bernhard Kummer)