Die Wikinger

Es ist das Wesen aller Geschichtskunde, die überlieferten Ereignisse in ihrem Ablauf, in ihrer zeitlichen Folge zu sehen, das Nacheinander und Miteinander der Gewalten und Gestalten zu erklären. Wir schildern nicht nur die Großtaten eines Krieges, sondern fragen zuerst, wie es zu diesem Kriege kam. Wir malen nicht nur nach der Überlieferung das Lebensbild einer großen Gestalt, sondern fragen nach ihrem Herkommen, und nach der Welt, in die sie hineingeboren worden ist. In acht Büchern unserer wohl besten Weltgeschichte, die uns durch die Antike hereinführt in die deutsche Geschichte, steht kein Wort von den Jahrtausenden des Nordens, in denen diese Wikinger geworden sind.

Der Gott der lieblosen Macht und die Flammen der Zeitenwende

Er ist es, der im Heldenlied „Zwist sät unter Verwandte“, der „zwischen Schwäger Schuldrunen warf“, der „über alles Unheil waltet“, der den Bruder zum Mord am Gatten der Schwester bestimmt, und den Mordspeer leiht (Helgisage Dag. vgl. Knudsen), und der als „Mann vom Berge“ oder Hnikarr den zur Vaterrachetat segelnden Sigurd anruft und mitfahren will. Dieser Odin ist in Wahrheit der Geist dieser Zeit, die an ihrer eigenen Zwiespältigkeit leidet – und schon in Zauberschlaf sinkend – mit letzter Kraft in der Walhall ihres Ruhmes ihre Helden sammelt zu einem letzten Kampf, der tragisch ausgeht.

Freiheit, Tyrannei und Ragnarök

Was also war das eindrucksvolle Erlebnis der Zeit? Das altnorwegische Odalbauerntum mit ererbtem Brauch und Recht, mit Ahnenbindung und Sippenpflicht, mit bestimmter Geltung von Frau, Ehe, Kind, Freund und Feind, Jugend, Freiheit und Führerschaft, mit Göttern im Heiligtum und heiligen Herden, mit Freude an Ruhm und Tat in weiter Welt, – und auch mit allen seinen Unzulänglichkeiten und Fehlern hatte in Island seinen letzten Zufluchtsort gefunden.

Das Alter der Edda-Lieder

Eugen Mogk sagt: „An das hohe Alter, in das man einst die Eddalieder versetzt hat, glaubt heute niemand mehr“. „Sprache metrische Form, Lebensanschauung der Dichter“ habe „unzweideutig erwiesen, daß selbst die ältesten Gedichte nicht vor der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts entstanden sind, während die jüngsten erst kurz vor der Zeit gedichtet sein müssen, wo unsere Überlieferung einsetzt. Der Gedichte der letzten Art sind jedoch verschwindend wenig“.