Das Drama von Brünhilds Schmerz

Auf der Höhe des Taunus, wo einst der römische Feldherr sein Kastell baute, um dann die Gattin Armins gefangen fortzuführen, lebt dem Volke eine Erinnerung an eine schlafende, auf den Befreier wartende Frau auf dem Berge.
Sigurd, der Sohn der im „Schwabenland“ verbannten Frau, König Sigismunds Gattin, erschlug den Drachen Fafnir um Brunhilds Willen und ritt für sie durchs Feuer. Durch Verrat und Täuschung blieb den beiden Geliebten nur noch der Tod.

Der Gott der lieblosen Macht und die Flammen der Zeitenwende

Er ist es, der im Heldenlied „Zwist sät unter Verwandte“, der „zwischen Schwäger Schuldrunen warf“, der „über alles Unheil waltet“, der den Bruder zum Mord am Gatten der Schwester bestimmt, und den Mordspeer leiht (Helgisage Dag. vgl. Knudsen), und der als „Mann vom Berge“ oder Hnikarr den zur Vaterrachetat segelnden Sigurd anruft und mitfahren will. Dieser Odin ist in Wahrheit der Geist dieser Zeit, die an ihrer eigenen Zwiespältigkeit leidet – und schon in Zauberschlaf sinkend – mit letzter Kraft in der Walhall ihres Ruhmes ihre Helden sammelt zu einem letzten Kampf, der tragisch ausgeht.

Die Quellen der Sigurd-Brünhild-Dichtung im Norden

Die Edda ist nur ein Teil des reichen altnordischen Schrifttums. „Ein Hauptfehler liegt darin“, sagt Wolfgang Golther, daß man die Edda fast immer losgelöst vom Hintergrund der norwegisch-isländischen Literaturgeschichte betrachtet.“ Das Liederbuch aus dem 13. Jahrhundert, das wir „Edda“ nennen, ist eine Sammlung von Götter- und Heldenliedern und Sprüchen; der Heldenliederteil ist von der Brünhild-Sigurd-GudrumSage durchaus beherrscht, aber ihr Kernstück wurde daraus entfernt. (8 Pergamentblätter.)

Island im Nibelungen-Lied

Es hat mit Polemik gegen die Kirche als solche oder gar gegen das Christentum nichts zu tun, wenn man die Tatsache eines Kulturkampfes in jener Zeit in Rechnung setzt. Das Wohl der römischen Weltmacht forderte, daß jenes isländische Freibauernerbe nicht weiterwirkte, wie es forderte, daß Island aufhörte, ein Freistaat zu sein.

Die Merowingerkönigin

Wo das Lichte und Reine eines „strahlenden“ Helden beschmutzt wird, wo die Hoheit, der Adel und die Weisheit einer Veleda nicht mehr aus Brünhild redet, sind wir auf dem Abweg. Der Brünhild-Sigfrid-Abschnitt in der Thidrekssaga, also dem Hauptzeugnis für den neuen Südeinfluß um 1130, stellt einen Tiefpunkt der an sich nicht hohen Darstellung dar.

Geschichts- und Selbst-Erkenntnis Europas

Man findet das Wesentliche nur, wenn man das Ganze sieht. Aber es gibt „Eddaforscher“, die keine Zeile Saga lesen können, und Eiferer für irgend eine Meinung, die mit ein paar „Belegen“ aus dem engen Kreise dessen, was sie kennen lernten, das ganze alte Island und womöglich noch das ganze alte Germanentum ins Feld zu führen glauben. Anders steht es um die Frage, ob es nicht uns alle angeht, dafür zu kämpfen, daß eine wesentliche Quelle unserer Geschichts- und Wesens-Erkenntnis nicht immer wieder versiegt oder verschüttet wird.

Erlebnis des Glaubens und Traumbild der Dichter

In der Tat ist das frühmittelalterliche Fürstentum so genealogisch mit Wodan-Odin verbunden worden, ebenso wie man ihm nachträglich alle heidnische Weisheit, z. B. in den eddischen „Sprüchen des Hohen“ zugeschrieben hat, auch wenn es sich um alte heidnische Bauernsprüche handelte.

Odins Gefolge

Den gebildeten Leser Snorris muß es erstaunen, daß die Germanistik ihm um Odins willen seltsam gläubig folgte, und daß Martin Nincks „Wodan“ nicht mit eindeutig klarer Quellenkritik als Schulbeispiel neuer Romantik durch die Wissenschaft gekennzeichnet worden ist.