Geoffrey Bibby sagt über den inneren Wandel des Archäologen, der nicht mehr sein ganzes Ziel im Sammeln der Artefakte aus dem Grabe sieht, vielmehr bemüht ist, „die Persönlichkeit des Begrabenen und derer, die ihn bestatteten, zu ergründen.
Wir stellen fest, wie gut wir uns in die Gedanken der Rentierjäger des Hamburggebietes oder die der Wikinger, die ihre Königin bei Oseberg begruben, zu versetzen vermochten. Vielleicht sind beispielsweise, die Levkoje, die man auf der Brust eines zur Bronzezeit auf Jütland in einem Eichensarg bestatteten Mädchens fand, und das steinerne „Kissen“ unter dem Kopf eines Neandertal-Menschen nicht an sich von historischem Wert, sondern ihre Bedeutung liegt gerade in ihrer „Zeitlosigkeit“, in dem Gefühl des Verwandtseins, das sie in uns erwecken, einem Gefühl, das beim bloßen Lesen selbst vorzüglich dokumentierter Schilderungen historischer Ereignisse nicht aufkommt.
Jeder Archäologe spürt im Herzen, warum er gräbt. Er gräbt, um, mitfühlend und demütig, die Toten wieder lebendig werden zu lassen, damit das, was vorüber ist, dennoch nicht für immer verloren sei. Damit aus den Trümmern der Zeitalter etwas gerettet werde und so die Gegenwart durch die Vergangenheit mehr Farbe bekomme und wir für die Zukunft mehr Mut.
Seine Ausgrabungen sind nur eine Abzahlung, die wir leisten können auf das, was wir alle den Menschen schulden, die im Lauf von Jahrtausenden unsere Welt für uns formten.“
(Aus Geoffrey Bibby, The Testamony of the Spades (1956), deutsch: Jaust-Keil und Bronzeschwert“ 1957 bei Rowohlt, S. 348).
In dem gleichen Sinne suchte Bernhard Kummer immer den Menschen in den schriftlichen Quellen und misst dem die entscheidende Bedeutung zu „wenn dieser Mensch irgendwo in der Geschichte des germanisch-christlichen Wandels klar überliefert und lebensecht dargestellt ist …“ (Herd und Altar, II, S. 84).
Kurz sei hier noch angedeutet, worauf der Verfasser selbst, der, stets selbstkritisch, berechtigte Kritik angenommen hat, in dem Vorwort zur 2. Auflage von „Midgards Untergang“ hinweist:
3 Grundzüge gibt die Arbeit:
1
„Der erste Grundzug ist der Hinweis auf die Saga als entscheidende Quelle germanischer Religionskunde vor der Bekehrung. Er ist im allgemeinen sachlich anerkannt oder dankenswert eingeschränkt und berichtigt worden …“.
2
„Der zweite Grundzug ist die Darstellung eines geschichtlichen Glaubenswandels vom Höhepunkt unberührten Heidentums durch die Erschütterungen der heranrückenden Mission bis zu dieser selbst. Er hat zumal die Kirchengeschichte interessiert, hat aber auch als „Verfallsnachweis«‘ … dazu ermutigt, mit Hilfe der Saga einen in der germanischen Religion selbst liegenden oder von außen vor der Mission hereinwirkenden Verfallsgrund zu sehen, jedoch leider in sehr geringem Maße die Mitarbeiter auf diesem Gebiet verpflichtet, die reiche Fülle der Wandlungserscheinungen nach der Saga chronologisch zu erfassen.
Das böseste Beispiel für den Mangel an Verständnis für diese notwendige geschichtliche Darstellung bietet Walter Baetke, wenn er sogar den Fulltrui-Glauben als Verfallserscheinung wertet, statt nun hier wenigstens einmal die Quellen selbst entscheiden zu lassen, was das ältere ist.“
3
„Der dritte Grundzug ist der mit den Worten Midgard und Utgard bezeichnete Gegensatz in der Welt der religiösen Erscheinungen … In der Tat hat das Heidentum den Midgardbegriff so gut wie den Utgardbegriff mir an die Hand gegeben durch den beherrschenden Mythos, in dem Midgard durch Utgards Mächte zerstört wird. Ich habe aber hinter diesen symbolischen Ausdrücken die eigentlich religiösen Elemente nicht so behandelt, ‚ als hätte der Heide seinen Glauben an dieses Begriffspaar gebunden gefühlt.
Vielleicht war es meine Schuld, daß die Befürchtung Heuslers, es möchten Unkundige aus diesen Begriffen sich Schlagworte machen, bisweilen sich erfüllte. Darum sei noch einmal betont, daß dieser Midgard-Utgard-Gegensatz kein heidnischer Glaubenssatz ist, sondern eine Systematisierung vielfältigen heidnischen Glaubenslebens unter zwei den Heiden bekannten Namen und Begriffen, nachweisbar auch durchaus im Sinne ihres religiösen Grunderlebens, das die „Götter“ inmitten des Menschenlebens Kraftquell sein läßt gegen die Dämonen der Fremde.
Man mag also mit Recht an dieser Herausstellung eines solchen Begriffspaares, das auch von anderen arischen Religionen her sich empfahl, Kritik üben als an einer die Darstellung erleichternden Systematisierung, die dem oberflächlichen Leser nicht als solche genügend kenntlich wird …“
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Bernhard Kummers Forderung bleibt:
Jedes Geschriebene „in den geistigen Raum seiner Zeit zu stellen“, siehe Vorwort zu den Heldenliedern (Die Lieder des Codex Regius, 11, 1. 1959).
Fragen, die aufgeworfen werden, gilt es neu und immer wieder zu durchdenken und zu beachten, wie der Verfasser es in seinem weiteren Schaffen stets getan hat.
Man könnte dies (Anmerkung „Midgards Untergang“) seine Doktorschrift, sein wissenschaftliches Programm nennen. Von hier aus konnte er neue Gesichtspunkte vertiefen und klären, und wir können seinem Gedankenweg folgen, indem wir seine späteren Arbeiten ergänzend zur Hand nehmen.
Gisela Lienau-Kummer (1972), Vorwort „Midgards Untergang, (5. AL)